Herr Fabel und Herr Geerken (Direktor u. Sekretär der ATG) führten mit Frau Prof. Dr. Nieberg ein äußerst interessantes Gespräch.
Frage: Frau Nieberg, bei Ihrer sehr umfangreichen Vita stellt sich die Frage, was Sie an Ihrer beruflichen Tätigkeit reizt?
Hiltrud Nieberg: Ich möchte hier vor allem drei Gründe nennen. Erstens: Landwirtschaft ist vielseitig und entwickelt sich stetig weiter. Zweitens: Landwirtschaft
ist weltweit relevant, und drittens finde ich es seit meiner Promotion sehr spannend, an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Landwirtschaft, Politik und Gesellschaft zu arbeiten. Wirtschaft
umfasst dabei für mich die gesamte Wertschöpfungskette, also auch die landwirtschaftliche Praxis. Die Analyse komplexer Zusammenhänge und bestenfalls die Entwicklung von Lösungsansätzen sind sehr
reizvolle Herausforderungen.
Frage: Wie würden Sie Ihre wesentlichen Aufgaben beschreiben?
Hiltrud Nieberg: Als Ressortforschungseinrichtung haben wir in erster Linie die Aufgabe, das Landwirtschaftsministerium wissenschaftsbasiert zu beraten. Wir sind
keine Beratungsinstitution, die Hinweise gibt, wie ein einzelner Landwirt sein Einkommen optimiert. Hinweise, wie das Einkommen verbessert werden kann, geben wir aber in verschiedenen Kontexten
schon. Das Thünen-Institut erfasst und analysiert zum einen relevante Entwicklungen, unter anderem mit umfangreichen Monitoringaktivitäten. Zum anderen werden im Rahmen der Forschung
Handlungsoptionen für die Politik und Praxis erarbeitet und hinsichtlich ihrer Folgen abgeschätzt. Oft müssen wir aber auch eine sehr kurzfristige Politikberatung leisten, beispielsweise bei der
Beantwortung von Anfragen aus dem Bundestag oder bei aktuellen Gesetzesvorhaben.
Frage: Wie gehen Sie mit – nennen wir es –
politischen Fragen um?
Hiltrud Nieberg: Die Beantwortung politischer Fragen, z.B. zur gemeinsamen Agrarpolitik, ist eine wichtige Aufgabe des Thünen-Instituts. Unsere Antworten sind dabei
politisch unabhängig und wissenschaftsbasiert. Eine Leitfrage im Institut für Betriebswirtschaft lautet: Wie kann die Politik den unterschiedlichen gesellschaftlichen Anforderungen an den
Agrarsektor gerecht werden, ohne gleichzeitig das Ziel einer wettbewerbsfähigen Agrarwirtschaft zu gefährden? In diesem Zusammenhang untersuchen wir, wie die Landwirtschaft betroffen ist, wenn
sich technische, wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen ändern, wie sie sich anpassen kann, was diese oder jene politische Maßnahme kostet und welche Folgen die Änderungen auf
Einkommen, Wettbewerbsfähigkeit, strukturelle Entwicklung, Umweltwirkungen und Tierwohl haben und schließlich welche Handlungsoptionen sich daraus für die Agrarpolitik ergeben. Diese Fragen
bearbeiten wir im nationalen und internationalen Kontext. Die Erschließung von Fernerkundungsdaten als Grundlage zur Politikbegleitung und -bewertung ist seit etwa fünf Jahren ein weiteres Thema
unseres Instituts. Auf Basis unserer Arbeiten können nun beispielsweise Schnitthäufigkeiten auf Grünlandflächen erkannt werden.
Kommen wir zu Ihrer Mitgliedschaft im Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim BMEL. Was
dürfen wir darunter verstehen?
Hiltrud Nieberg: Der wissenschaftliche Beirat ist ein interdisziplinär besetztes Gremium und berät das Ministerium bei der Entwicklung seiner Politik. Dem Beirat
gehören 17 Mitglieder aus unterschiedlichen Fachgebieten an. Sie werden vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft für die Dauer von drei Jahren berufen, und zwar maximal drei Mal
hintereinander. Der WBAE arbeitet auf ehrenamtlicher Basis, ist unabhängig und erstellt Gutachten und Stellungnahmen zu selbst gewählten Themen. Die Gutachten werden einvernehmlich
erstellt.
Frage: Wie ist der Einfluss Ihrer wissenschaftlichen Gutachten?
Hiltrud Nieberg: Nicht so groß, wie wir uns das wünschen (lacht). Die Gutachten werden allerdings im Ministerium intensiv gelesen und für die Hausleitung
eingeordnet. Teilempfehlungen wurden auch schon umgesetzt, allerdings nicht zwangsläufig eins zu eins. Hier ist beispielsweise die Tierhaltungskennzeichnung zu nennen. Darüber hinaus werden
unsere Gutachten von zivilgesellschaftlichen Gruppen, Fachverbänden etc. breit beachtet. Unsere Fakten, Argumente und Empfehlungen gehen in den öffentlichen, teils auch in den parlamentarischen
Diskurs zu den verschiedenen Themen ein und damit auch in den demokratischen Willensbildungsprozess.
Frage: Mit welchem Thema beschäftigte sich der WBAE in seiner letzten Veröffentlichung?
Hiltrud Nieberg: Der Titel lautet „Neue Sorgfaltspflichten für Unternehmen des Agrar- und Ernährungssektors: Empfehlungen zu aktuellen Gesetzesentwicklungen“.
Unternehmen stehen zunehmend in der Verantwortung, Beiträge zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen zu leisten. Deshalb werden im Gutachten Lieferketten-Sorgfaltspflichtenregelungen diskutiert
und die vielfältigen Auswirkungen dargestellt. Aktuell arbeiten wir an einem Gutachten mit dem Arbeitstitel „Alternativen zu Lebensmitteln aus der Tierhaltung“.
Mehr Informationen unter: BMEL – Beiräte - Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz
Frage: Kommen wir zu Ihrer Mitgliedschaft in der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL). Wie ist die Aufgabenstellung?
Hiltrud Nieberg: Die ZKL hatte im Sommer 2020 die Aufgabe bekommen, Empfehlungen und Vorschläge für die Bundesregierung zu erarbeiten, um eine nachhaltige, das
heißt ökologisch und ökonomisch tragfähige sowie sozial verträgliche Landwirtschaft in Deutschland auch in Zukunft zu ermöglichen. Die Mitglieder der ZKL sehen sich in der demokratischen
Verantwortung, zukunftsfähige Lösungen in einem möglichst breiten Konsens zu finden. Im Juli 2021 wurde der Abschlussbericht an die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel übergeben.
Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir bat die Mitglieder, ihre Arbeit fortzusetzen. Nun hat die ZKL im November 2024 die strategischen Leitlinien und Empfehlungen für die künftige Agrarpolitik
vorgelegt. Unter der Überschrift „Zukunft Landwirtschaft. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe in schwierigen Zeiten“ gibt der Bericht zu verschiedenen Themen Empfehlungen für eine zukunftsfähige
Landwirtschaft.
https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/zukunftskommission-landwirtschaft.html
Frage: War es schwierig, zu Ergebnissen zu kommen?
Hiltrud Nieberg: Es war ein hartes Ringen, da selbst kleinste Änderungen von bis dahin geeinten Formulierungen durchaus wiederholt sehr intensiv abgestimmt werden
mussten. Die verschiedenen Themen wurden zunächst in kleineren Arbeitsgruppen diskutiert, die in den AGs erstellten Texte wurden dann im Plenum diskutiert und abgestimmt. Teilweise wurden
Diskussionen auch emotional geführt. Aber es ist uns letztlich gelungen, einen einstimmigen Bericht zu erstellen. Für mich persönlich war es erstaunlich, dass die Schnittmenge am Ende doch viel
größer war, als viele zuvor gedacht haben. Und wenn die verschiedenen Verbände es schaffen, weiterhin gemeinsam hinter den Berichten und ihren Empfehlungen zu stehen und diese auch nach außen zu
vertreten, dann ist aus meiner Sicht schon viel gewonnen. Unser Mandat ist mit dem Bericht zu Ende. Wir haben uns geeinigt - keiner hat damit gerechnet und letztlich haben wir wohl alle
überrascht. Bei einigen Empfehlungen liegt der Ball auf dem Elfmeterpunkt, die Politik muss den Ball nur noch ins Tor schießen. Wir sind gespannt, welche Empfehlungen sich im zukünftigen
Koalitionsvertrag wiederfinden werden.
Frau Nieberg, wir danken Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben und bedanken uns für das ausführliche Gespräch!